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Hypnose – wundersame Heilerfolge in Trance

Von Heike Stüvel, welt.de

 

Wehrlos, gefügig, manipulierbar – Hypnose erscheint vielen unheimlich. Doch anders als im Fernsehen gezeigt, hat sie viel zu bieten: Heilung.

 

Wer Hypnose hört, schaudert ein wenig. Eine Urangst ist damit verbunden. Immer noch denkt man an okkulte Sitzungen, in denen wehrlose Opfer in totalem Kontrollverlust als gefügige Marionetten anderer Leute Befehle ausführen und sich nachher nicht einmal daran erinnern können.

 

Doch anders als Zirkusshows suggerieren, hat die Hypnose einiges zu bieten: Heilen in Trance ist weder Scharlatanerie noch mystische Spinnerei. Immer mehr Mediziner, Psychotherapeuten und Zahnärzte machen sich die Hypnotherapie zunutze. Die Deutsche Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie (DGH) zählt inzwischen 1200 Mitglieder, davon sind rund 400 Zahnärzte. Die Therapie ist unter Ärzten durchaus anerkannt. Sie ist Heilung in Trance. Forscher haben allerdings noch nicht bis ins kleinste Detail herausfinden können, was genau in den Nervenzellen durch Hypnose bewirkt wird, was also letztlich zur Heilung führt.

 

Hypnotisierte werden nicht manipuliert

 

„Hypnotisierte sind weder willenlos noch ausgeliefert“, sagt Burkhard Peter, Psychotherapeut und Hypnotherapeut in München. „Während der therapeutischen Hypnose weiß der Hypnotisierte ständig, was er tut.“ Wie im wachen Zustand kann er seine Antwort abwägen und nur das verraten, was er will. „Die Hypnotisierten erinnern sich an Vergessenes und Verdrängtes und erkennen Zusammenhänge, die im Unbewussten liegen und wirken“, sagt Peter. „Trance ist nicht Bewusstlosigkeit, sondern bedeutet, gleichzeitig konzentriert und entspannt zu sein. Die Patienten werden nicht manipuliert, sondern es sollen sich ihnen Möglichkeiten eröffnen, dass negatives Verhalten und ungünstige Einstellungen umgelenkt werden.“

 

Hypnotisierte können zwar theoretisch alles um sich herum erfassen, ihre Aufmerksamkeit ist aber eingeschränkt und nur auf die Stimme des Therapeuten gerichtet. Gefühle sind leichter zu spüren und innere Bilder werden lebendiger und realistischer wahrgenommen. Die Ordnung der Zeit ist aufgehoben. Ähnlich wie beim Lesen eines spannenden Buches, wenn die Welt drumherum verschwindet. Dieser Zustand ermöglicht den Zugang zum Unbewussten. Erinnerungen und Gefühle, die im wachen Zustand für uns nicht erreichbar sind – etwa Erlebnisse aus frühester Kindheit – können hervorgeholt, aufgearbeitet und neu bemessen werden. In diesem Zustand ist der Hypnotisierte auch offen für Beeinflussungen (Suggestionen), die der Hypnotiseur im Unbewussten verankern kann.

 

Solche Suggestionen können Gedanken betreffen, aber auch körperliche Zustände. Sie wirken wie manche Sätze unserer Eltern, die noch immer in uns verankert sind. Patienten finden in Trance ihre eigenen Möglichkeiten, ihre Beschwerden direkt zu beeinflussen. Schmerz wird weniger stark wahrgenommen. Es lösen sich Ängste und seelische Blockaden, die andernfalls Krankheiten verursachen könnten. Dies wird vor allem von der „integrativen tiefenpsychologischen Hypnosetherapie“ genutzt.

 

Hypnose ist ein Mulitalent

 

Dank ihr haben Menschen gelernt, ohne Angst zum Zahnarzt zu gehen. Manche brauchen sogar keine Betäubungsmittel mehr, hören mit dem Rauchen auf, verlieren ihre Flugangst oder sogar ihre Schmerzen. Warzen, Asthma, Reizdarm oder Neurodermitis verschwinden. Erfolge gibt es auch bei Tinnitus, psychosomatischen Bauchschmerzen, Zwangsstörungen, Chemotherapie, ADS, Adipositas und Depressionen. Am effektivsten wirkt die Hypnose aber bei Leiden, deren Ursache psychisch ist.

 

Nach einer Studie der Universität Tübingen, in der mehr als 200 empirische Untersuchungen ausgewertet wurden, liegt die Heilungsquote der Hypnose zwischen 60 und 70 Prozent. Damit glänzt sie im Vergleich zu anderen Methoden. „Mit drei Sitzungen kann man unter Umständen jemanden von seiner Nikotinsucht befreien. Bei Schlafstörungen sind meist sechs Stunden notwendig“, sagt der Tübinger Psychotherapeut Dirk Revenstorf, Leiter der Studie. Bei Rauchstopp waren nach der Hypnotherapie drei Monate später 65 Prozent konsequent geblieben, nach einem Jahr 45 Prozent. Andere Methoden schaffen das kaum.

 

In Trance empfindet der Patient weniger Schmerzen: Selbst Tumor- und Gesichtsoperationen können ohne Vollnarkose durchgeführt werden. Die Hypnose kann direkten Zugriff auf das Nervensystem nehmen und Schmerzen lindern, teilweise sogar komplett abschalten. Langsam behauptet sie sich in der modernen Medizin.

 

Unter Leitung des Wissenschaftlers und Psychotherapeuten Stefan Jacobs von der Universität Göttingen nahmen 30 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, Migräne oder Rheuma und bisher erfolgloser Therapie teil. Sie lernten, sich mithilfe einer Hörkassette in einen Zustand tiefer Entspannung zu versetzen. Die Kassetten wurden für jeden individuell zusammengestellt – vom Therapeuten besprochen und mit Geräuschen untermalt.

 

All dies dient dazu, die Patienten auf einer Fantasiereise zu begleiten, etwa an einen einsamen Strand. Es ist eine Kombination von Hypnose und Selbsthypnose. Die Selbsthypnose erfolgte neun Wochen lang mindestens zweimal täglich, sobald die Schmerzen zunahmen. Wöchentlich fand eine Therapiesitzung statt. Die Verhaltenstherapie bestand im Wesentlichen aus dem Führen eines Schmerztagebuchs.

 

Der Verbrauch von Opioiden, peripheren Analgetika und Antidepressiva sank bei den schmerzkranken Teilnehmern um 60 bis 75 Prozent. „Die Hypnose führt offenbar kombiniert mit Verhaltenstherapie dazu, dass sich die Schmerzen auf einem niedrigen Niveau einpendeln“, sagt Jacobs.

 

60 Prozent aller Frauen und Männer gehen sehr ungern zum Zahnarzt. Weitere 25 Prozent zögern einen Termin so weit es geht hinaus. Selbst eine schmerzfreie Behandlung bleibt oft als schlechte Erfahrung im Gedächtnis. Allein die Angst vor möglichen Schmerzen schreckt ab.

 

„Es ist oft nicht unmittelbar ersichtlich, warum diese Patienten Widerstände entwickeln, Behandlungsversuche boykottieren und zudem übermäßig schmerzempfindlich sind“, sagt Zahnarzt Stephan Eitner, Präsident der Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie. „Die medizinische Hypnose, die wir bei unseren Behandlungen einsetzen, eignet sich ideal, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.“

 

OP-Licht verwandelt sich in Sonnenschein

 

Mit Musik, beruhigenden Worten und Konzentration gelangen die Patienten in einen entspannten Zustand. Sie erinnern sich dabei beispielsweise intensiv an schöne Erlebnisse. Die Behandlung, vor der sie sich gefürchtet haben, rückt in den Hintergrund. Die Muskelspannung nimmt ab, die Herzfrequenz sinkt, der Blutdruck fällt, die Atemzüge werden langsamer und auch die Hirnaktivität verändert sich. Die Situation ist vergleichbar mit einem Film, in den der Zuschauer gedanklich versinkt und die Rückenschmerzen, die der klapprige Kinostuhl verursacht, gar nicht spürt.

 

Die „Requisiten“ der medizinischen Behandlung können in die Hypnose eingebaut werden und ihre Wirkung noch verstärken. Das OP-Licht suggeriert Sonnenschein, der Speichelsauger Meeresrauschen, und die Abdecktücher sommerliche Wärme. „Auf diese Weise kommt es zu einer völligen Umdeutung der Situation“, sagt Eitner. „Während der Patient so in einem imaginären Sommerurlaub ist, können wir einen Zahn entfernen.“